Chinesische Unternehmen: Studie sieht Chancen für den deutschen Mittelstand

Investitionen chinesischer Unternehmen in Deutschland und Europa wecken in der Öffentlichkeit und bei hiesigen Unternehmen häu­fig Besorgnis. So forderte unlängst EU-Kommissar Antonio Tajani ei­nen europäischen Schutzschild gegen Investitionen aus China und anderen Schwellenländern. Die Bundesregierung steht dem En­ga­ge­ment chinesischer Unternehmen in Deutschland zwar grundsätzlich positiver gegenüber, die Bundesbürger sehen aber auch hierzulande noch immer eine potentielle Gefahr in den Neuankömmlingen. Dass dafür wenig Grund besteht, zeigt erstmals eine aktuelle Studie des Berliner German Center for Market Entry (GCME). Die Studie ana­ly­siert aus Sicht der chinesischen Unternehmen deren Probleme beim Eintritt in den deutschen Markt.

Basis der Studie sind Gespräche der Wissenschaftler des GCME mit 14 Experten aus der Wirtschaftsförderung und Umfragen unter insgesamt 96 chinesische Unternehmen.

Im Ergebnis wird deutlich, dass die Mehrheit der chinesischen Unternehmen in Deutschland klein und mittelständisch ist und mit verschiedenen Herausforderungen zu kämpfen hat. Die Umfragen lassen zudem einen erheblichen Nachholbedarf bei den chinesischen Firmen auf vielen Gebieten erkennen. Die Studie zeigt aber auch eine Reihe von Chancen für deutsche Unternehmen auf, die sich aus diesen Defiziten der asiatischen Markteinsteiger ergeben.

Während in der Öffentlichkeit primär die Aktivitäten großer chinesischer Unternehmen in Deutschland wahrgenommen werden, handelt es sich bei rund 70 % der hier ansässigen chinesischen Firmen jedoch um Kleinstunternehmen mit weniger als zehn Mitarbeitern. 42 % der Unternehmen investieren weniger als 250.000 US-Dollar in Deutschland.

Dieses vergleichsweise geringe Investitionsvolumen stellt viele Unternehmen bereits vor eine erste Herausforderung: Unternehmer aus nicht EU-Ländern erhalten nämlich in der Regel erst dann eine Aufenthaltserlaubnis, wenn sie mindestens 250.000 Euro investieren und fünf Arbeitsplätze schaffen. „Häufig werden zunächst jedoch nur Vertriebsbüros oder eine kleine Tochtergesellschaft gegründet“, weiß Alexander Tirpitz, Geschäftsführer des German Center for Market Entry und Co-Autor der Studie zu berichten.

Das stärkste Motiv der chinesischen Unternehmen, in den deutschen Markt einzutreten, ist das Potential des Absatzmarktes und die Nähe zu hiesigen Kunden und Wettbewerbern. Strategische Motive wie der Zugang zu Forschung und Entwicklung oder das Label Made in Germany haben für die mehrheitlich kleinen Unternehmen nur zweitrangige Bedeutung.

Vor diesem Hintergrund überrascht es nicht, dass die Befragten die Identifikation potentieller Kunden und Geschäftspartner als die zwei wichtigsten Vorbereitungsmaßnahmen für einen Markteintritt ansehen. Kenntnissen der deutschen Sprache, der arbeits- und aufenthaltsrechtlichen Bestimmungen sowie der hiesigen Geschäftskultur wird keine große Bedeutung beigemessen. Marktkenner Alexander Tirpitz hält das für einen großen Fehler, denn die Befragungsergebnisse zeigen, dass die Unternehmen gerade in diesen Bereichen auf die größten Herausforderungen treffen.

Informationen sammeln chinesische Unternehmer im Vorfeld des Gangs nach Deutschland hauptsächlich über persönliche Kontakte: Geschäftspartner vor Ort werden von 68 % als besonders nützliche Informationsquellen bewertet. Fast ebenso viele (66 %) halten Messen für besonders wichtig. Professionellen Quellen wie Kammern, Unternehmensberatern oder Verbänden wird ein deutlich geringerer Nutzen beigemessen.

Unter den Beratern, von denen sich die Unternehmen bei einem Markteintritt unterstützen lassen, werden vor allem die Wirtschaftsprüfer und Steuerberater geschätzt. 42 % bewerten sie als besonders hilfreich. Nahezu gleich bedeutend wird die Unterstützung durch die eigene Familie und Freunde angesehen. Von 39 % werden sie als besonders hilfreich bewertet.

Bei ihrer Standortwahl innerhalb Deutschlands lassen sich chinesische Unternehmen zwar hauptsächlich durch die Nähe zum Kunden, die Verortung von Wettbewerbern und durch Logistiknetze beeinflussen. Das Image bzw. die Bekanntheit einer Region wirken sich aber ebenfalls aus und können oftmals den entscheidenden Ausschlag für eine Ansiedelung geben. Außerdem beeinflussen bestehende Kontakte an einem Standort die Entscheidung zur Ansiedlung. So ist bereits seit Jahren eine entsprechende Clusterbildung in Hamburg, Nordrhein-Westfalen und Hessen zu beobachten.

„Insgesamt gestaltet sich der Markteintritt für chinesische Unternehmen in Deutschland schwierig“, fasst Tirpitz die Studienergebnisse zusammen. Dabei gliedern sich die auftretenden Herausforderungen in drei Dimensionen:

Für rund die Hälfte der Befragten stellen die deutsche Sprache (44 %) sowie der Erhalt einer Arbeits- (43 %) und Aufenthaltserlaubnis (48 %) eine besonders große Hürde dar. Die Kundengewinnung ist für 65 % ein Problem. Danach folgen mit 64 % grundsätzliche Vorurteile gegenüber chinesischen Unternehmen seitens der Deutschen und mit 59 % die Erfüllung der Kundenanforderungen. Im Unternehmen ist für chinesische Unternehmer vor allem der Bereich Personal eine Herausforderung: Als besonders problematisch werden von 65 % die Rekrutierung geeigneten Personals sowie die Personalkosten empfunden. 56 % hadern vor allem mit dem deutschen Arbeitsrecht.

Vielen dieser Herausforderungen schenken die Unternehmen im Vorfeld des Markteintritts nur wenig Beachtung. „Dies ist jedoch nicht unbedingt ein typisches Problem chinesischer Firmen, sondern auch bei vielen deutschen kleinen und mittleren Unternehmen, die nach China internationalisieren, zu beobachten“, sagt Tirpitz. „Unternehmen, die neue Märkte erschließen, sollten grundsätzlich auf im Zielmarkt erfahrene Berater zurückgreifen. Anfängliche Investitionen in kostenpflichtige Beratungsleistungen wie Marktanalysen oder die Erarbeitung einer lokalen Vertriebs- oder Kommunikationsstrategie zahlen sich langfristig immer aus“, so Tirpitz weiter.

Deutsche Unternehmen sollten Chinesen nicht nur als Konkurrenten, sondern auch als Partner sehen, raten die Studienautoren. Das frühzeitige Eingehen strategischer Kooperationen mit aufstrebenden chinesischen Unternehmen könne die eigene Position auf dem Weltmarkt stärken und unter Umständen den Markteintritt in China erleichtern.

Ebenso kann der Verkauf an chinesische Investoren eine Option zur Lösung des unter vielen deutschen Mittelständlern herrschenden Nachfolgeproblems sein.

Nicht zuletzt aber bieten die chinesischen Unternehmen in Deutschland eine zunehmend interessante Zielgruppe für den Absatz der eigenen Produkte und Dienstleistungen. Dass es hier an verschiedenen Stellen Bedarf gibt, verdeutlichen die Studienergebnisse. In Regionen wie Hamburg, Nordrhein-Westfalen und Hessen hat man dies bereits erkannt. Eine Vielzahl an Dienstleistern hat sich hier bereits auf chinesische Kunden ausgerichtet – und das mit Erfolg.

Die komplette Studie steht als kostenloser Download online zur Verfügung.

(GCME / ml)

Tipp der Redaktion

Wir raten, die knapp 120-seitige Studie zu lesen. Nicht nur, dass das Thema an sich schon hochinteressant ist. Die Studie vermittelt auch eine sehr nützliche Außensicht des deutschen Markts.

Darüber hinaus fördern die Studienergebnisse das Verständnis für die Situation chinesischer Geschäftspartner. Das tut den Beziehungen gut und zerstört mit harten Fakten wirksam den Mythos von der omnipotenten „gelben Flut“, der noch immer oder schon wieder  in vielen Köpfen spukt.

Mittelständler, die diese Studie gelesen haben, werden deutlich ruhiger und mit neuem Selbstbewusstsein chinesischen Unternehmen gegenübertreten – gute Voraussetzungen für Partnerschaften auf Augenhöhe. (ml)