Ernst & Young-Mittelstandsbarometer: Fachkräftemangel kostet Mittelstand 30 Milliarden Euro

Der Aufschwung im Mittelstand hält an, die Unternehmen setzen auf einen anhaltenden Wirtschaftsboom: 92 % der Mittelständler sind mit der aktuellen Geschäfts­lage zu­frie­den, jeder zweite bezeichnet die Lage als uneingeschränkt gut und 52 % erwarten sogar eine weitere Verbesserung der eigenen Geschäftslage. Viele mittelständische Unternehmen wollen deshalb mehr Mit­ar­beiter einstellen, stoßen dabei aber zunehmend auf Probleme, wie das aktuelle Mittelstandsbarometers 2011 der Prüfungs- und Beratungsgesellschaft Ernst & Young zeigt.

Rund dreiviertel der Unternehmen haben Schwierigkeiten, neue und ausreichend qua­li­fi­zierte Mitarbeiter zu finden, jeder zweite Mittelständler fürchtet sogar Umsatzeinbußen aufgrund des Mangels an Top-Fachkräften. Insgesamt drohen dem Mittelstand Umsatzeinbußen von 30 Milliarden Euro jährlich, so eines der Ergebnisse der Umfrage zum Mittelstandsbarometer, an der im vergangenen Dezember 3000 mittelständischen Unternehmen teilnahmen.

Die hohen Umsatzeinbußen könnten vor allem deshalb entstehen, weil das Wachstum in den Schwellenländern und zunehmend auch die starke innerdeutsche Nachfrage – anders als in den Nachbarländern – gerade jetzt enorme Chancen zu bieten haben. „Die deutsche Wirtschaft gibt sich unbeeindruckt von der europäischen Schuldenkrise und den wirtschaftlichen Problemen einiger Nachbarländer“, charakterisiert Peter Englisch, Leiter Mittelstand und Partner bei Ernst & Young, die spezielle Situation. Grund: „Das Wachstum in den Schwellenländern und zunehmend auch die starke innerdeutsche Nachfrage gleichen diese Schwäche bislang mehr als aus.“ Der deutsche Mittelstand werde damit zum Treiber der wirtschaftlichen Erholung in Deutschland und Europa.

Auftragseingänge und Auslastung steigen, die Zeichen stehen weiter auf Wachstum – das führt auch zu anhaltend positiven Impulsen für den Arbeitsmarkt. Nur noch 6 % der Unternehmen wollen laut Englisch im kommenden Halbjahr die Zahl der Beschäftigten reduzieren, der Anteil der Unternehmen, die zusätzliche Mitarbeiter einstellen wollen, liegt hingegen inzwischen bei 27 %. Englisch: „Das deutsche Jobwunder hält also unvermindert an“.

Nach Angaben des Experten wollen in den kommenden Monaten besonders die Mittelständler im Norden und der Mitte Deutschlands kräftig Personal einstellen, an der Spitze die Unternehmen in Bremen, Hamburg, Nordrhein-Westfalen und Hessen. Aber auch überdurchschnittlich viele baden-württembergische und bayerische Unternehmen wollen ihre Belegschaften vergrößern. Im Osten Deutschlands sei hingegen mit einem verhalteneren Zuwachs an Arbeitsplätzen zu rechnen, so Englisch.

Die Kehrseite: 73 % der Mittelständler berichten von Schwierigkeiten bei der Suche nach neuen Mitarbeitern. Jeder neunte bezeichnet es sogar als sehr schwierig, ausreichend qualifizierte Mitarbeiter zu finden. Die Mehrheit der deutschen Mittelständler (64 Prozent) erwartet zudem, dass es in den kommenden drei Jahren (noch) schwieriger wird, geeignete Fach- und Führungskräfte zu finden.

Das aber hat gravierende Folgen. Immer mehr Unternehmen müssen Aufträge ablehnen, weil ihnen Personal fehlt. So befürchtet die Hälfte der befragten mittelständischen Unternehmen (51 %), dass ein Mangel an Top-Fachkräften zu Umsatzeinbußen für das eigene Unternehmen führen wird. 15 % der befragten Unternehmen prognostizieren sogar erhebliche Einbußen von mehr als 5 %.

Besonders stark betroffen ist der Mittelstand in Nordrhein-Westfalen mit einem entgangenen Umsatz von 8,4 Milliarden Euro, gefolgt von Bayern (6,6 Milliarden Euro) und Baden-Württemberg (3,5 Milliarden Euro).

„Der Schaden, der durch den Fachkräftemangel verursacht wird, ist bereits heute beträchtlich“, kommentiert Englisch. „Er wird aber in Zukunft noch deutlich steigen und sich zu einem erheblichen Problem für die deutsche Wirtschaft auswachsen“. Der deutsche Mittelstand sei besonders betroffen, so Englisch: „Gerade die mittelständischen Unternehmen drohen im verschärften Wettbewerb um ein knapper werdendes Arbeitskräftepotenzial ins Hintertreffen zu geraten“. Große Unternehmen hätten bessere Voraussetzungen, über eine professionelle Personalentwicklung geeignete Arbeitskräfte aus den eigenen Reihen zu rekrutieren oder neue anzuwerben. Englisch bemängelt auch: „Hochqualifizierte Absolventen zieht es vor allem zu den namhaften Top-Konzernen – die Mittelständler haben da immer öfter das Nachsehen.“

Nach Meinung des E&Y-Experten unterschätzen noch immer viele Unternehmer das Problem: „Der aktuelle Mangel an Fachkräften ist nur ein kleiner Vorgeschmack auf das, was wir in zehn Jahren erleben werden.“ Die meisten Mittelständler ahnten noch gar nicht, was da auf sie zukomme – und vielen fehle ein Plan, wie sie dem Problem begegnen könnten. Dabei sei es höchste Zeit gegenzusteuern. Es reiche nicht, über fehlende Fachkräfte nur zu klagen und nach der Politik zu rufen.

Hauptursachen des derzeitigen Mangels an Fachkräften sind aus Sicht der Unternehmer Defizite im deutschen Bildungs- bzw. Ausbildungssystem: 85 % der Befragten glauben, dass die Bewerberprofile und die spezifischen Anforderungen der Unternehmen nicht zusammenpassen. 74 % kritisieren mangelnde Aus- und Weiterbildungsmöglichkeiten.

Zum Teil ist das Problem aber auch hausgemacht: Immerhin 65 % der Unternehmer sehen in den eigenen Reihen eine mangelnde Bereitschaft, ältere Fachkräfte zu beschäftigen. 45 % geben an, dass eine mangelnde Toleranz gegenüber Migranten erhebliche Potenziale verbaue.

Viele Mittelständler sehen aber auch aus anderen Gründen sorgenvoll in die Zukunft. Besonders die stark gestiegenen Rohstoffpreise bereiten ihnen Kopfzerbrechen: 66 % der Befragten sehen in der Entwicklung der Rohstoffpreise eine Gefahr für das eigene Unternehmen – bei den Industrieunternehmen liegt der Anteil sogar bei 82 %. Kein anderes Thema – weder die steigenden Energiepreise (64 %) oder die Staatsverschuldung (55 %) noch die drohende Inflation (39 %) – bereitet dem deutschen Mittelstand derzeit so große Sorgen.

Der ganz große Preisschub komme aber erst noch, warnt Peter Englisch. „Die wachsende Nachfrage aus Ländern wie China oder Indien und die langsame Konjunkturerholung in den Industrieländern werden dazu führen, dass sich die Preisspirale weiter dreht – Deutschlands Mittelständler werden sich wohl an extreme Preissprünge gewöhnen müssen. Und sie werden Wege finden müssen, sich dagegen abzusichern.“

Die Ergebnisse der Umfrage stehen in Form einer Präsentation als kostenloser Download im Internet zur Verfügung.

(Ernst & Young / ml)