Kommentar: Ein Plädoyer für die kontroverse Debatte

Nicht ohne eine gewisse Häme berichteten die letzten Tage zahlrei­che Medien über einen institutsinternen Disput im Berliner Deut­schen Institut für Wirtschaftsforschung (DIW) zum Thema Fachkräf­temangel in Deutschland. Dabei zeigt dieser Fall nur, dass die Stu­dien des DIW nicht vorab auf Linie getrimmt werden, bevor sie an die Öffentlichkeit gegeben werden. Dass Wissenschaftler unter­schied­liche Meinungen vertreten, ist aber ohnehin die Regel und nicht die Ausnahme – Wissenschaft muss ihre eigenen Aussagen immer wieder in Frage stellen. Das DIW wäre deshalb schlecht beraten, zu diesem Disput nicht mehr zu stehen. Er ist alles andere als ehren­rührig – ganz im Gegenteil.

Was war geschehen? Kurz gesagt: DIW-Experte Karl Brenke war aufgrund seiner Studien der Arbeitsmarktzahlen zu dem Schluss gekommen, es gebe derzeit so gut wie keinen Fachkräftemangel und publizierte seine Ergebnisse auch. Fast gleichzeitig verkündete sein Chef, DIW-Präsident Prof. Dr. Klaus F. Zimmermann, es herrsche ein eklatanter Mangel.

Sicher, ganz glücklich war die Aktion aus Sicht einer Instituts-Marke nicht. Normaler­weise werden solche Diskrepanzen in der Interpretation von Zahlen erst hausintern geklärt, bevor sie an die Öffentlichkeit gegeben werden. Viel zu oft aber führt dieser Abgleich hinter verschlossenen Türen auch zum Eindruck, die Aussagen der Institute wären allesamt eindeutig und unanzweifelbar, obgleich gerade gesellschaftspolitisch brisante Themen nur sehr selten eindeutig zu beantworten sind – und die Menschen das ohnehin spüren. Deshalb sollte die Öffentlichkeit froh sein, dass in diesem Fall einmal offensichtlich wird, dass an deutschen Wirtschaftsinstituten um Erkenntnisse noch wirklich gerungen wird.

Und der Vorfall ist vor allem auch ein Beweis dafür, dass derartige Studien – zumindest am DIW – eben nicht vorab nach den Wünschen der Wirtschaft auf Linie getrimmt werden, wie viele Wirtschaftskritiker links der politischen Mitte immer wieder gerne behaupten.

Wer sich eine eigene Meinung über die widerstreitenden Standpunkte machen will, findet übrigens Beiträge beider Wissenschaftler in der aktuellen Ausgabe 46/2010 der DIW-Publikation Wochenbericht. Die Ausgabe steht als kostenloser Download im Internet zur Verfügung.

(ml)