Liquidität: Statt Kreditklemme jede Menge Reserven

Die Kreditklemme sei nur ein Mythos, behauptet eine ge­mein­same Studie der Unternehmensberatung Roland Berger und der Kreditauskunftei Creditreform. Die mittel­stän­di­schen Unternehmen in Deutschland lassen im Ge­gen­teil riesige Liquiditätsreserven brachliegen, lautet ihre Kritik. Obwohl sich der Liquiditätsengpass im deutschen Mittelstand bis 2012 auf bis zu 60 Milliarden Euro sum­mie­re, stünde dem ein noch ungenutztes firmeninternes Po­ten­zial in Höhe von rund 120 Milliarden Euro gegenüber.

Dieses Potenzial könnte über ein aktives Management von Beständen, Forderungen und Verbindlichkeiten aktiviert werden. Das habe eine Analyse der Bilanzkennzahlen und Zahlungsdaten von 2500 Unternehmen aus den Jahren 2006 bis 2010 sowie Telefoninterviews mit mehr als 300 Führungskräften gezeigt.

Die Liquiditätspolster vieler Unternehmen sind durch die Krise aufgezehrt. Um die wieder anziehende Nachfrage bedienen zu können, müssen Firmen aber in Vorleistung treten. Das ist über die Aufnahme von Fremdkapital am Kreditmarkt momentan vergleichsweise schwierig und teuer. Alleine der deutsche Mittelstand benötigt für die Zeit bis 2012 rund 60 Milliarden Euro zum Kauf von zusätzlichen Rohstoffen, Betriebsmitteln und Investitionsgütern. Working Capital Management, also das Management von Beständen, Forderungen und Verbindlichkeiten, wird daher im deutschen Mittelstand immer wichtiger.

Die Unternehmensberatung Roland Berger und die Kreditauskunftei Creditreform haben in der Studie Working Capital im Mittelstand das Liquiditätsmanagement von 2500 Unternehmen untersucht und die Ergebnisse in ausführlichen Interviews mit mehr als 300 Führungskräften vertieft. Fazit: Die deutschen Mittelständler haben zwar schon deutlich aufgeholt, doch das ungenutzte Potenzial ist immer noch enorm. Die Mittel, um die eigene Liquidität zu sichern, liegen oft im Unternehmen selbst. Über alle Branchen bleiben rund 120 Milliarden Euro an Liquiditätsreserven ungenutzt.

Die durchschnittliche Kapitalbindungsdauer ist der Studie zufolge zwischen 2006 und 2009 immerhin von 64 auf 56 Tagen gesunken. Auch der Anteil verspäteter Zahlungen ging bereits deutlich zurück. Waren 2007 noch fast 40 % der Zahlungen verspätet, so sind es heute weniger als 20 %. Dr. Carsten Uthoff, Geschäftsführer bei Creditreform sieht darin sowohl ein Zeichen für professionelleres Forderungsmanagement, als auch einen Ausdruck der verbesserten wirtschaftlichen Lage.

Das Kapital großer Firmen ist laut Studie allerdings im Schnitt nur halb so lange gebunden wie in mittelständischen Unternehmen. Das zeige – positiv ausgedrückt – dass der Mittelstand noch „gigantische interne Liquiditätsreserven“ besitzt, die es „besonders in Zeiten, in denen die externe Finanzierung für Mittelständler schwieriger wird und Mezzanine-Finanzierungen 2011 in großem Umfang auslaufen“ zu aktivieren gelte.

Den Studienautoren ist zwar durchaus bewusst, dass Großunternehmen durch ihre Verhandlungsmacht im Einkauf andere Bedingungen durchsetzen können als mittelständische, sie sehen dennoch bei vielen kleineren Unternehmen im Bereich des Working Capital Management ein gewisses Desinteresse. „Das Thema ist bei jedem Unternehmen mit mehr als 200 Mio. Euro Jahresumsatz auf der Tagesordnung – bei Kleinstunternehmern spielt es fast keine Rolle“, kritisiert deshalb Roland Schwientek, Partner bei Roland Berger. Seine Erfahrung: „Große Konzerne betreiben ihr Liquiditätsmanagement heute professionell – mit klaren Verantwortlichen, Kennzahlen und Optimierungsinitiativen. Der klassische Mittelständler konzentriert sich dagegen oft noch rein auf Umsatz- und Wachstumskennzahlen.“ Dabei werde die eigene Zahlungsfähigkeit nicht zuletzt vom Zahlungsverhalten der Kunden beeinflusst.

Große Unterschiede bestehen der Studie zufolge zwischen einzelnen Branchen: So haben Nahrungsmittelhersteller (26 Tage) und Papierproduzenten (43 Tage) im Branchenvergleich die geringste Kapitalbindungsdauer, Maschinenbauer (79 Tage) und Bekleidungshersteller (86) die höchste. Auch innerhalb der Branchen klafft eine Lücke zwischen Unternehmen mit hoher und niedriger Kapitalbindungsdauer. Beispiel Maschinenbau: Eine Reihe von Unternehmen arbeiten mit einer nur halb so hohen Kapitalbindungsdauer, wie der Durchschnitt der Branche während die schlechtesten eine bis zu sechsmal so hohe Kapitalbindungsdauer haben. Über alle Branchen bleiben rund 120 Milliarden Euro an Liquiditätsreserven ungenutzt.

Die Studie zeigt auch, dass die meisten Mittelständler die Entwicklung der Kapitalbindung in ihrem Unternehmen positiver sehen als dies die Zahlen rechtfertigen. Fast 90 % der Teilnehmer glauben, ihr Forderungsmanagement habe sich in den vergangenen drei Jahren deutlich verbessert oder sei zumindest auf gleichem Niveau wie 2007. Die Analyse der Bilanzkennzahlen zeigt aber, dass das nur auf zwei Drittel der Mittelständler tatsächlich zutrifft – das restliche Drittel hat sich sogar signifikant verschlechtert.

Dabei könnte bereits eine Verkürzung der Kapitalbindungsdauer um 5 bis 10 % (je nach Ausgangslage) den kompletten Finanzierungsbedarf, den eine Umsatzsteigerung um zehn Prozent mit sich bringt, abfedern und damit die externe Kreditaufnahme nachhaltig senken. Die Studie zeigt, dass die Unternehmen, die ihre Liquidität aktiv managen, damit Erfolge von 10 % und mehr gesenkter Kapitalbindung erreicht haben. Schwientek rät deshalb allen Mittelständlern: „Effektive Wege, um schnell Liquidität freizusetzen, sind zum Beispiel ein automatisiertes Forderungsmanagement und niedrigere Bestände durch eine optimierte Auftragsplanung“. Das hat wiederum weitreichende Folgen für die Kreditwürdigkeit, so Uthoff: „Künftig wird auch ein professionelleres Screening der Kundenbasis im Hinblick auf ihre Kreditwürdigkeit eine wichtigere Rolle spielen“.

Eine umfangreiche und aussagekräftige Präsentation zur Studie steht als kostenloser Download online zur Verfügung.

(Roland Berger / Creditreform / ml)